Stellungnahme anlässlich des Vortrags “Ideologie in Schwarz-Weiß. Zur Kritik des Antirassismus“

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Liebe alle,

in Folge des von der Fachschaft Philosophie geplanten und vom AStA Oldenburg finanziell mit 650 Euro unterstützten Vortrags „Ideologie in Schwarz-Weiß. Zur Kritik des Antirassismus“ wollen wir nicht schweigen. Der Vortrag sollte ursprünglich diesen Mittwoch stattfinden und wurde jedoch krankheitsbedingt abgesagt. Der Nachholtermin, Freitag der 10.02.2017 19 Uhr im BIS Saal der Universität Oldenburg (heute), wurde gestern bekanntgeben.

Wir vom Autonomen Feministischen Referat Oldenburg finden es untragbar, dass der AStA die Kritik am Vortrag, teils geäußert von Personen, die von Rassismus betroffen sind, abschmettert und sich die Deutungshoheit über Rassismus herausnimmt. Ebenso finden wir es unerhört, dass dieser Vortrag trotz Kritik weiterhin vom AStA finanziell unterstützt und beworben wird.
Der Ankündigungstext zur Veranstaltung (In Gänze ein Zitat Nachtmanns) spricht eine sehr deutliche Sprache, und sollte für sich genommen schon Grund umfangreicher Kritik sein. Zusätzlich geben die Veröffentlichungen Nachtmanns weitere Eindrücke, die eine Kritik unabhängig vom Vortrag erfordern.

[Inhaltswarnung: Rassismus, Ableismus, Lookismus, (Psycho)pathologisierung, sprachliche Gewalt]

In seinem Ankündigungstext zeichnet Nachtmann ein eindeutiges Bild. Die Perspektiven der Betroffenen von Rassismus werden überhaupt nicht benannt, und Nachtmann schreibt so, als gäbe es diesen auch gar nicht. Das „Leid Einzelner“ (AStA-Protokoll 16.01.17), um das es „vordergründig“ (ebd.) gehen solle, fehlt gänzlich. Stattdessen stimmt Nachtmann gerne in den rechten Kampfbegriff der ‚political correctness‘ ein: „anti-rassistische Praxis [besteht] heute aus hochnotpeinlicher Gewissenserforschung und Sprachsäuberung in Permanenz“ (Rasse und Individuum. Plädoyer für eine vollendet künstliche Amoral, Nachtmann: 2009). Nachtmann baut sich eine Rassismusdefinition auf, aus der er schließt: „Demnach ist es aber auch grotesk, heute noch von einem existenten Rassismus zu sprechen; denn zum Rassismus als einer gesellschaftlich wirksamen Ideologie gehören Bewegungen, die ihn sich auf ihre Fahnen schreiben, gehören Exponenten, die sich selbst als Rassisten begreifen und daraus in der Öffentlichkeit keinen Hehl machen“ (ebd.). Rassistische Diskriminierung möchte Nachtmann stattdessen als „Fremdenhass“ verstanden wissen, womit er jedoch die performative Konstruktion eines impliziten „wir“ und eines bezeichneten „Fremden“ (re)produziert. Oder auch: In weißer Hybris will Personen, die von Rassismus betroffen sind, erklären, wie sie ihre Diskriminierung zu bezeichnen haben.
Bei eingehender Lektüre findet 1 irgendwann das Leid, dass vordergründig eine große Rolle spielen soll:

„Dieses freiwillige Selbstopfer, das aufscheint in der allerorts zu beobachtenden Neigung der Individuen, ihr Selbstbewusstsein gerade aus empfundenem Leiden abzuleiten und empfundene Benachteiligung und Diskriminierung als Identitätsmerkmal zu reklamieren (32), bleibt dem bürgerlichen Individuum als solchem notwendig und unrettbar eingeschrieben;“

Und nicht nur über Rassismus schreibt Nachtmann in seinem Text: „jenes Kasperltheater, das […] schließlich zum frei flottierenden Irrsinn einer, man könnte sagen, „multiple“ oppression führte, unter der man allen Ernstes über „lookism“, also Diskriminierung aufgrund des Aussehens oder „ableism“, Diskriminierung wegen Fähig- oder Unfähigkeit diskutierte.“ In späteren Abschnitten wertet der Autor ebenfalls die Selbstdefinition von Subjekten als „bürgerlichen Identitätswahn“ (ebd.) ab.

Eine Person einzuladen, die die Konzepte der Intersektionalität und Selbstdefinition dermaßen abwertet und in solch einer Weise rassistisch, ableistisch, lookistisch agiert, sehen wir als untragbar an.

Nachtmann bedient sich in seinen Argumentationen vielfach einer Sprache, wie sie sonst nur von rechtskonservativen bis rechtsextremen Kreisen benutzt wird. Nachtmann nutzt Untergangsszenarien. Der Staat würde durch durch ‚Willkommenskultur‘ Massenmobilisierung vermarkten und als Ergebnis schlechter werden (vgl. Ankündigungstext). Weiterhin „kollaboriere“ der Antirassismus mit dem „politischen Islam“ und die Gesellschaft solle zum „multikulturellen Stammesverband“(ebd.) umgestaltet werden. Formulierungen, wie sie sonst z.B. bei offen rassistischen Gruppen wie PI-News oder PEGIDA verwendet werden.

Aber es wäre zu einfach Nachtmann in eine Ecke mit der AFD, PEGIDA etc. zu stellen. Es wäre sogar gefährlich. In Linken Kontexten gibt es massive Strukturen, die Entwicklungen im Bezug auf Antirassismus, Antisexismus, Antiableismus, Emanzipation, Transinklusivität etc. bekämpfen. Die Subsumierung derer mit der AFD romantisiert linke Zusammenhänge und macht Probleme in ihnen unsichtbar. Trotzdessen ist anzuerkennen, dass in diesen verschiedenen Gruppen thematische Überschneidungen sowohl auffällig wie auch besorgniserregend sind.

Für POC, Jüd*innen, ausländische Studierende und Geflüchtete muss das eine Erschütterung des Schutzes sein, für den der AstA sonst Eintritt.

Eine Kritik an Antirassismus ist einfach für diejenigen, die das Privileg haben, nicht selbst davon betroffen zu sein. Für alle anderen bedeutet es, dass es schwieriger wird Rassismus zu benennen, Safe[r] Spaces zu schaffen und Safe[r] Spaces auch sicher zu halten. Auch, wenn Nachtmann vorgibt, dass es ihm nicht um Betroffene gehe, ist jeglicher Angriff auf die Legitimität des Erkennens rassistischer Handlung eine signifikante Erschwerung Diskriminierung zu verhindern. Diskriminierung zu benennen ist für Betroffene in der Situation von Diskriminierung schon meist nie einfach, weil im Zustand der Verletzung es sehr schwierig ist die Kraft und die richtigen Worte zu finden, sich Gehör zu verschaffen und gegen Diskriminierung anzugehen. Daher bedarf es unbedingter Solidarität mit Betroffenen und der Reflexion eigener Privilegierung. Nachtmann korrodiert dieses solidarische Fundament von Safe[r] Spaces. Generell muss gelten, dass es nicht so schlimm ist als Rassist_in bezeichnet zu werden, als es tatsächlich zu sein.

Als Autonomes Feministisches Referat stellen wir uns gegen diesen provokativen Mackertypen und seine intellektualistische Selbstbeweihräucherung auf Kosten diskriminierter und marginaliserter Menschen!

[Anm.: Uns ist bewusst, dass wir in unserem Text selber eine akademische Sprache nutzen. Dies ist in diesem Fall eine bewusste Entscheidung. Jedoch möchten wir betonen, dass die angesprochenen Themen nicht allein in dieser vielfältig ausschließenden Sprache diskutiert werden sollten und dürfen.]

Wütend senden wir euch unsere solidarischen Grüße.
Euer Autonomes Feministisches Referat