Femmefeindlichkeit in queeren Kontexten

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Femme ist eine queere Identität, die erstmals von lesbischen Personen der US-amerikanischen working class der 1950er Jahre verwendet wurde. Damals war Femme der Gegenbegriff zu maskulin performenden Lesben und Queers, die als Butches bezeichnet wurden. Heute kann Femme eine Geschlechtsidentität, einen Geschlechtsausdruck oder Performance beschreiben.

Femmes definieren ihre Femmeness auf unterschiedliche Weise: Über ihren Style oder eine bestimmte Ästhetik, über Emotionalität, Softness oder Fürsorge, über Witchcraft, Spiritualität und Bezug zu ihren Vorfahren, über die Art und Weise, wie sie Beziehungen zu anderen Menschen herstellen oder eine Aneignung feminin konnotierter Eigenschaften und Vorlieben (uvm.!).

Als ich mit 17 erstmals darüber nachgedacht hab, ob meine sexuelle Orientierung etwas anderes als hetero sein könnte, hatte ich viele Normen dazu im Kopf, wie Lesben aussehen, sich bewegen und in Beziehungen verhalten müssen. In meinen stereotypen Vorstellungen davon konnte ich mich selbst nicht wiederfinden. Zufällig habe ich dann „femme lesbian couples“, also lesbische Paare, in denen sich beide Personen als Femmes identifizieren, wie Rose und Rosie oder Whitney und Megan auf tumblr und YouTube entdeckt. Sie sahen ganz anders aus als die maskulinen, harten Lesben in meiner Vorstellung. Whitney und Megan erzählen auf ihrem YouTube-Channel, wie häufig sie von fremden Menschen als Schwestern oder beste Freundinnen angesprochen werden. Damals ordne ich das für mich ein als: fremde Heteros, die es nicht besser wissen, checken nicht, dass sie in einer lesbischen Liebesbeziehung sind.

Mit 19 ziehe ich nach Berlin, um (1.) andere Lesben kennenzulernen und (2.) Gender Studies zu studieren, und denke, dass beides ganz gut miteinander kombinierbar sein müsste. Ich merke dann aber schnell, dass sich das als schwieriger als gedacht herausstellt. Denn Femme Invisibility (also die Unsichtbarkeit von Femmes) gibt es auch in Räumen und Communities, in denen Geschlechter- und Sexualitätsnormen scheiße gefunden und abgelehnt werden.  

Bevor ich den Begriff Femmefeindlichkeit kannte, wusste ich, wie sich Femmefeindlichkeit anfühlt. Danach, zu glauben, ähnlich fühlende, queere Menschen gefunden zu haben, nach denen ich mich auf dem Dorf so gesehnt hatte, aber von diesen Menschen nicht als queer erkannt zu werden und das mit skeptisch musternden Blicken, Ignoranz und belächelt werden zu spüren zu bekommen. Verunsichert zu sein, sich fehl am Platz und damit allein zu fühlen. Sich bei anderen Menschen in feministischen Kontexten, die auch lesbisch und/oder queer sind, immer so sehr beweisen zu müssen, um zuerst wahr- und dann ernst genommen und beim nächsten Mal wiedererkannt zu werden. Sich danach umzugucken, wer bei der queeren Veranstaltung noch so da ist mit einer Genderperformance, die queerfeministischen Codes nicht oder nur z.T. entspricht. Dort erst mit einer maskulin performenden queeren Person an der Seite aufatmen und sich entspannen zu können. Seht ihr? Ich bin eine von euch.

Und auf der anderen Seite: eine Skepsis gegenüber anderen Femmes auch von sich selbst zu kennen. Sich zu fragen: was macht diese Person hier? Bestimmten Menschen mehr Aufmerksamkeit in Gesprächen zu schenken. Ihre Positionen weniger in Frage zu stellen. Es irgendwann zu merken und sich über sich selbst zu ärgern.

Femmefeindlichkeit betrifft Menschen, die Praxen verwenden, die in ihrer Kultur feminin konnotiert sind und in lsbtqi+ Communities agieren. Sie ist eine Mischung aus Queerfeindlichkeit, (cis- und hetero-) Sexismus und (trans*) Misogynie. Je nach dem, von welchen Diskriminierungsverhältnissen eine Person noch betroffen ist und welche Privilegien sie hat, äußert sich Femmefeindlichkeit auf unterschiedliche Weise. Die femmefeindliche Diskriminerung, die eine Schwarze, nicht-behinderte, klassistisch privilegierte cis-Femme erlebt, kann anders aussehen als bei einer weißen behinderten, klassistisch deprivilegierten trans* Femme.

Beispiele für Femmefeindlichkeit in queerfeministischen Kontexten sind, dass Femmes nicht als queer wahrgenommen werden, dass sie als weniger radikal oder kritisch gelten, dass ihnen zugeschrieben wird, sich sexistischen Normen unterzuordnen und so zur Verräter*in im Kampf gegen patriarchale und kapitalistische Strukturen zu werden oder dass die (emotionale oder Sorge-) Arbeit, die sie leisten, weder als Aktivismus noch als überhaupt wertvoll wahrgenommen wird. Trans* oder gendernonkonforme Femmes, vor allem Schwarze trans* Femmes oder trans* Femmes of color werden z.B. für ihren Style und ihren Unterhaltungswert abgefeiert, erleben sonst aber häufiger Ausschlüsse aus feministischen Räumen oder dass ihnen vermittelt wird, dass sie für die Gewalt, die sie durch ihre erhöhte Sichtbarkeit erleben, selbst verantwortlich sind.

Dabei ist es besonders schmerzhaft, von Mitgliedern der eigenen Communities ausgeschlossen oder diskriminiert zu werden. Die Erfahrung, sich in queeren Communities aufgrund der auch da existierenden Normen (wie z.B. weiß, dünn, nicht-behindert, akademisch, christlich säkularisiert zu sein etc.) und Diskriminierungsstrukturen nicht wohlzufühlen, machen natürlich auch Menschen, die nicht Femme sind.

Viele Queers und/oder Queerfeminist*innen engagieren sich politisch gegen Misogynie, Sexismus und andere -ismen. Aber wenn sie die Ablehnung von Weiblichkeitsanforderungen, die an sie herangetragen werden, gleichsetzen mit der Abwertung aller femmigen Praktiken, tragen sie dazu bei, dass patriarchale Strukturen bestehen bleiben.

Von Cleo Kempe Towers aka Emotional Labor Queen kenne ich den Begriff „Femme trust“. Er beschreibt, dass Femmes in queeren Communities weniger Vertrauen oder kein Vertrauensvorschuss entgegengebracht wird, sich diskriminierungskritisch oder solidarisch zu verhalten, Verbündete zu sein oder überhaupt als Mitglieder queerer Communities betrachtet zu werden.

Femmes fühlen sich mit diesen Erfahrungen häufig allein. Manche tauschen sich mit anderen Femmes auf Social Media, Blogs oder anderen Plattformen darüber aus, aber akademische Forschung wie zu anderen Diskriminierungsformen gibt es zu Femmefeindlichkeit wenig (hier ist eine der Ausnahmen: https://www.ashleyhoskin.ca/femmetheory).

Wenn du dich solidarisch mit den Femmes in deinem Umfeld verhalten möchtest, dann lege ich dir folgendes nahe:

  • Erkenne an, dass Femmes wie die legendären Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera schon immer ein wichtiger Teil queerer und queerfeministischer Bewegungen waren,
  • mach dir klar, dass Femmes ganz unterschiedliche Geschlechtsidentitäten, sexuellen Orientierungen, romantische Interessen und Körper haben und ihre Femmeness mit verschiedenen Bedeutungen füllen,
  • setz dich mit deinen (verinnerlichten) sexistischen Vorstellungen davon, wie Feminist*innen aussehen und sich verhalten, auseinander,
  • nur weil Femmes sich feminine Praktiken aneignen, heißt das nicht, dass sie deshalb allen Weiblichkeitsanforderungen entsprechen (wollen), also erwarte kein normatives Verhalten von ihnen,
  • sprich ihnen ihre Erfahrungen in queer(feministisch)en Communities nicht ab, sondern hör ihnen zu und nehm sie ernst,
  • intervenier, wenn abwertend über Femmes gesprochen wird,
  • frag beim nächsten Mal, ob es gerade okay ist, bevor du Femmes dein Herz ausschüttest und erwartest, dass sie dich emotional auffangen und für dich sorgen,
  • erinner dich daran, dass Femmeness nicht deinem Konsum dient, sondern dass Femmes sich genau wie du mit ihrer Genderperformance als sie selbst und wohlfühlen wollen,

und zu guter Letzt: Hab mehr femme trust und trau Femmes zu, dass sie gute Gründe dafür haben, in einer sexistischen, homo- und transfeindlichen, rassistischen und klassistischen Gesellschaft ihre Femmeness zu leben und zu zelebrieren!

Femmes dürfen süß und stark und verletzlich und leise und sexy und wütend und laut und emotional sein, und nichts davon macht sie weniger queer. Femmes müssen sich keinen Normen anpassen, um wertvoll oder begehrenswert zu sein und verdienen mehr Anerkennung als unverzichtbarer Teil von queerfeministischen Bewegungen.

Hier sind noch ein paar (englischsprachige) Links für alle, die sich mehr mit dem Thema beschäftigen wollen:

https://femminary.com/2017/04/18/resources-on-queer-misogyny/
 
 
 Jana Haskamp bietet bundesweit Biografie- und Empowerment-Workshops, Sensibilisierungsseminare und Vorträge rund um lsbtqipa+ Lebensweisen, Sexualität und (Anti-)Diskriminierung an. Zudem arbeitet sie als Sexual- und Paarberaterin mit einem Fokus auf queere Personen in einem Praxisraum in Berlin.
 Mehr Infos unter: www.janahaskamp.de